Der Gedanke zum Sonntag

In dieser Rubrik möchte ich jeweils zu einem gregorianischen Gesang des Sonntags einen kleinen geistlichen Impuls setzen, der meinem Anliegen, die Musik im Gottesdienst besser mit den liturgischen Texten zu verzahnen, Rechnung trägt. Auch dort, wo die Gregorianik nicht (mehr) gepflegt wird, kann der Gedanke durch eine entsprechende Liedauswahl aufgegriffen werden. Hinweise sind jeweils beigestellt.

Vierter Sonntag der Osterzeit

Introitus "Misericordia Domini" (Graduale Triplex S. 222f.)

Misericordia Domini

plena est terra,

alleluja!

Verbo Dei caeli firmati sunt,

alleluja!

Von der Barmherzigkeit Gottes

voll ist die Erde,

halleluja!

Durch das Wort Gottes sind die Himmel gefestigt,

halleluja!


Nomen est omen - oder besser: Der Name ist Programm! Schon Mose fragte die Erscheinung im brennenden Dornbusch nach dem Namen, mit dem er seine Sendung legitimieren könnte (Ex 3,13-14). Heute ruft die Liturgie der Kirche im Eröffnungsvers der Messe Gott beim Namen. Papst Franziskus hat das schöne Wort geprägt: "Der Name Gottes ist Barmherzigkeit" und fasst so das Gottesbild des Neuen Bundes treffend zusammen. Dieser Name ist Programm, denn "Barmherzigkeit" beruht auf dem lateinischen misericordia, was wiederum ein Kompositum ist: Miseri cor dare - Den Elenden, den Erbarmungswürdigen das Herz geben. Der Anspruch ist groß, denn das Herz geben heißt das Ganze geben, die Existenz, das Leben. Heute am Vierten Ostersonntag betet die Kirche besonders um geistliche Berufungen. Es sind jene Menschen, die unter diesem Anspruch in und für die Kirche Gottes Namen bekanntmachen. 

Die Misericordia Gottes deutet uns Jesus im Bild des Guten Hirten aus: Er, Christus selbst, ist das Ebenbild des mitgehenden, mitfühlenden und mitleidenden Gottes. Er kennt unsere Not, Er gibt sein Leben für uns, an ihn können wir uns halten, wenn uns der Anspruch des Namens Gottes zu groß erscheint. 

Palmsonntag

Communio "Pater si non potest" (Graduale Triplex S. 149)

Pater

si non postest

hic calix transire

nisi bibam illum

fiat voluntas tua.

Vater,

wenn es nicht möglich ist,

dass dieser Kelch vorrübergeht,

ohne ihn zu trinken,

so geschehe Dein Wille.


Größer kann der Gegensatz in einer liturgischen Feier kaum sein.

Zu Beginn der triumphale Einzug Jesu in Jerusalem mit Jubel und feiernder Menge. Tochter Zion freue dich, denn sieh dein König kommt zu Dir! Die alte Verheißung geht in Erfüllung: Das Haus David hat ewigen Bestand, der Thron Davids wird wieder errichtet (vgl. Psm 89, 5) - Hosanna dem Sohne Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Und wir fangen diese Feststimmung so trefflich im schönen Trierer Lied „Singt dem König Freudenpsalmen“ ein.

Doch dann der große Abstieg: Der gefeierte König wird als gemarterter Knecht an den Pfahl gehängt - Passion Christi. Den Ernst der Stunde fängt die Communio des Palmsonntags ein, indem sie uns die Angstworte Jesu im Garten Getsemani ins Ohr singt: „Vater, wenn es nicht möglich ist, dass dieser Kelch an mir vorrübergeht und ich ihn trinken muss, so geschehe dein Wille“ (Mt 26,42).

Fiat voluntas tua – Dein Wille geschehe. Es sind die Worte, die wir uns im Vaterunser täglich zu Eigen machen. Doch was ist der Wille des Vaters? „Das ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, das ewige Leben hat und dass ich ihn auferwecke am Jüngsten Tag“ sagt Jesus in seiner Brotrede in der Synagoge von Kafarnaum (Joh 6,40). Jedes Mal neu empfangen wir dieses Leben, wenn wir zur Kommunion hinzutreten. Der Eintritt in die heilige Woche ist die Einladung, den Glauben daran zu erneuern, indem wir mit Jesus gehen, mit ihm leiden um mit ihm auch das Leben zu erlangen.

Fünfter Sonntag der Fastenzeit

Introitus "Judica me" (Graduale Triplex S. 120)

Judica me Deus

et discerne causam meam

de gente non sancta:

ab homine iniquo et doloso

eripe me:

quia tu es Deus meus

et fortitudo mea.

Richte mich Gott

und führe meine Sache

gegen ein unheiliges Volk.

Vor bösen und tückischen Menschen, rette mich.

Denn du bist mein Gott

und meine Stärke.


Unweigerlich habe ich beim Betrachten des Introitus am fünften Fastensonntag gleich die gewaltigen Männerstimmen im Ohr, die aus voller Kehle den Beginn der großen achtstimmigen Psalm-motette von Felix Mendelssohn-Bartholdy anstimmen: “Richte mich Gott…!“ Der Psalmbeter bittet Gott in einer Welt voll Unrecht doch endlich Recht zu schaffen. „Richte mich Gott“ meint: Deck das Unrecht auf, schaff Gerechtigkeit, bring die Schandtaten ans Licht!

Und was tun wir? Wir verhüllen nach altem Brauch, dessentwegen dieser Sonntag auch Passionssonntag genannt wird, die Kreuze, Kruzifixe und Altarbilder. Als wollten wir diesen Freveltod voll Unrecht und Ungerechtigkeit verschleiern.

Der Prophet Jeremia beschreibt diesen ehrlosen Tod so: Er, der Gerechte, leidet für die Ungerechten (vgl. Jes 52). Und deshalb betrachten wir den liturgischen Brauch mal andersherum: Der Herr verbirgt sein Gesicht vor unseren Sünden, vor dem Unrecht und der Ungerechtigkeit dieser Welt…o Mensch bewein dein Sünde groß!

Doch die Verheißung der Tilgung ist heute im Evangelium gegeben: Das abgestorbene Weizenkorn, verborgen und verhüllt in der Erde, wird die neue Frucht, das Leben in Fülle und Herrlichkeit, hervorbringen.

passende Liedparaphrasen:

GL 429, 1+4 - Gott wohnt in einem Lichte

GL 271 - O Herr aus tiefer Klage

GL 770 - Herr wir kommen mit Vertrauen 

GL 277 - Aus tiefer Not schrei ich zu Dir

Vierter Sonntag der Fastenzeit

Introitus "Laetare Jerusalem" (Graduale Triplex S. 108f.)

Laetare Jerusalem

et conventum facite

omnes qui diligitis eam:

gaudete cum laetitia,

qui in tristitia fuistis:

ut exsultetis et satiemini ab uberisbus consolationis vestrae.

Freu dich Jerusalem

kommt zusammen

alle, die ihr sie liebt.

Seid fröhlich, freut euch,

die ihr traurig wart.

Freut euch und trinkt euch satt

an den Brüsten eurer Tröstung.


Weil die Vorfreude bekanntlich die schönste Freude ist, blickt die Liturgie der Kirche inmitten der Fastenzeit schon auf Ostern: Der Elan auf dem Weg soll nochmal dynamisiert werden, damit wir „mit froher Hingabe dem Osterfest entgegeneilen“, wie es in der Tagesoration heißt. Äußeres Zeichen dafür ist die ungewöhnliche Liturgiefarbe rosa – ein durch die weiße Festfarbe aufgehelltes Violett.

Der Introitus der Messe gibt dem Sonntag den Namen „Laetare“ – Freu dich! Doch Ursache und Ziel der Freude werden erst durch das Beiwort „Jerusalem“ deutlich. Nach Johannes Cassian hat dieses Wort, das im urtümlichen Sinn natürlich die Terra sancta, den Sehnsuchtsort des gläubigen Juden beschreibt, noch eine weitere Dimension: Er ist für den Christen der Inbegriff der menschlichen Seele, eben jener neuen Stadt, die Gott sich durch das Heilshandeln Jesu Christi als Wohnort geschaffen hat (Cassian: Collationes Patrum 14,8).

So könnte man den Eingangsvers neu übersetzen: Freu dich meine Seele! Sei fröhlich, die du traurig warst! Oder mit einem alten Osterlied gesprochen: "Jerusalem, du neue Stadt, gibt deinen Liedern neuen Klang, in reiner Freude darfst du jetzt, der Ostern hohes Fest begehn" (GL 338).

passende Liedparaphrasen:

GL 553 - Jerusalem du hochgebaute Stadt

GL 840 - Ihr Mächtigen, ich will nicht singen

GL 654, 2 (KV) oder GL 74,1 (KV) jeweils mit Versen aus Psm 122

Dritter Sonntag der Fastenzeit

Introitus "Oculi mei" (Graduale Triplex S. 96)

Oculi mei semper ad Dominum,

quia ipse evelet de laqueo pedes meos:

respice in me, et miserere mei,

quoniam unicus

et pauper sum ego.

Meine Augen, stets auf den Herrn (gerichtet), denn er befreit meine Füße aus dem Netz:

Wende dich mir zu und sei mir gnädig, denn ich bin einsam und gebeugt.


„Augen grade aus!“, so heißt ein Befehl beim Militär.

In ähnlich imperativer Form begrüßt uns die Liturgie der Kirche am 3. Fastensonntag im Eingangsvers der Messe: „Meine Augen - immer zum Herrn!“.

In der Fastenzeit justieren wir die Blickrichtung neu auf den Herrn; nicht etwa, dass wir willige Befehlsempfänger werden, sondern dass wir das erfahren können, was ein modernes Kirchenlied trefflich ins Wort fasst: „Wer den Blick auf ihn gerichtet und in seiner Liebe bleibt, wird zum Segen für den Nächsten, dessen Angesicht ihn zeigt“ (GL 820,2). 

Wer die Augen seines Herzens auf den Herrn richtet, der verliert auch seinen Nächsten nicht aus dem Blick, das ist der christliche Weitblick, den die Welt so dringend braucht. 

passende Liedparaphrasen:

GL (Tr) 820 - Unser suchen nach dem Einen (v.a. 2. Strophe)

GL 422 - Ich steh vor dir mit leeren Händen Herr (v.a. 2. Strophe)